Rüggeberg hat erst gemalt und dann damit aufgehört

Dabei begann alles so vielversprechend.

Ich war vier Jahre alt; meine Mutter brachte mich in den Malkurs von Herrn Neumann. Herr Neumann war ein freundlicher, voluminöser Mann in einem hellen Kittel. Wir Kinder standen nebeneinander vor den Wänden, große weiße Papiere waren daran befestigt. Kritzeln an den Babytischen war gestern, hier wurde im Stehen gearbeitet, wie bei den Profis! Thema: ein Frühlingsbaum voller Vögel und Käfer. Alle legten los. Ich war die Jüngste in der Gruppe, meine Feinmotorik war noch nicht besonders ausgeprägt. Während um mich herum deutlich erkennbar Flora und Fauna entstanden, schmierte ich das Blatt voll mit grünbraunen Strichen und tupfte rote und gelbe Kleckse dazwischen. Der gewichtige Herr Neumann in seinem Kittel schritt auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, schaute und schaute, nickte und nickte. Als er zu mir kam, nahm er etwas Abstand, trat wieder näher und sagte ernst: „Ich sehe lodernde Erntefeuer im Herbst!“

Da beschloss ich, dass in mir eine große Malerin steckt. Mit diesem Irrtum lebte ich 15 Jahre unbeschwert weiter, dann schrieb ich mich für ein Kunststudium ein.

Um ein spezielles Malerei-Seminar besuchen zu können, musste ich Arbeiten vorlegen. Der Professor blätterte langsam durch meine Mappe. Er mochte mich, das merkte ich, aber das trübte nicht seinen kritischen Blick. Schließlich klappte er alles zusammen, schaute mich über den Rand seiner Lesebrille hinweg an und schüttelte kaum merklich den Kopf. Damit war ich abgelehnt.

Vermutlich gibt es hier niemanden, der nicht schon einmal durch eine Prüfung gefallen ist. Das Gefühl dabei ist schwer zu beschreiben. Enttäuschung, Trauer, Wut, Unglaube, Verzweiflung, alles zusammen und noch viel mehr. Und irgendwo dazwischen wächst das Eingeständnis, dass die Entscheidung berechtigt ist.

Trotzdem wollte ich mein Leben als Malerin nicht kampflos aufgeben. Der Geruch der Farben! Das Schmatzen der Pinsel! Am Ende des Tages die Hände schrubben und den Dreck unter den Nägeln hervor kratzen!

„Ich bin bereit, sehr hart zu arbeiten“, sagte ich zum Professor. „Wie können Sie sicher sein, dass ich nicht in Ihr Seminar passe?“
Er öffnete erneut meine Mappe, fächerte die Bilder auf, drehte sie zu mir und antwortete schlicht: „Das sieht man doch.“

In dem Moment sah ich es auch.
Zuhause weinte ich noch ein bisschen, dann ließ ich los. Seitdem habe ich kein Bild mehr gemalt.

„Ich habe ein Leben lang dazu gebraucht, wieder zeichnen zu lernen wie ein Kind.“

Das hat Picasso gesagt. Die Farben und die Pinsel stehen immer noch hier. Irgendwann einmal werde ich ein großes Blatt Papier an die Wand hängen, wilde grünbraune Striche darauf kritzeln, rote und gelbe Punkte hinein klecksen, und wenn ich einen Schritt zurück trete, erkenne ich sie ganz deutlich, die lodernden Erntefeuer im Herbst.

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Text: Thordis Rüggeberg

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4 Kommentare
  1. Lass dir von niemandem einreden, dass du nicht malen kannst. Nirgendwo gibt es so viel freiheit wie in der kunst: man kann gar nichts “falsch” machen. Das sage ich heute, obwohl es mir vor sehr langer Zeit genau so gegangen war wie dir, in Karlsruhe wurde ich abgelehnt. Klar, zur Avantgarde gehörte ich nicht, das muss man nicht. Ich bin sicher dass du wieder Freude am Malen haben kannst, such dir Menschen die das mögen was du machst

    Marie-José Dublin-Neys 31. März 2024 um 09:48 Uhr
  2. Mir gefällt Herr Neumann besser als der Professor.
    Ich hoffe, Du findest das Kind in Dir wieder!

    • Hallo Kira, ja, die Herangehensweise von Herrn Neumann finde ich auch toll! Für mich ist er mit seiner Reaktion auch heute noch ein großes Vorbild. Dass mich mein Kunstprofessor – den ich sehr mochte, daran hat seine Ablehnung nichts geändert – nicht für seinen Kurs angenommen hat, war vollkommen berechtigt. Es ging dort ja darum, Malerei zum Beruf zu machen und damit Geld zu verdienen, da wurden natürlich sehr harte Bandagen angelegt, im Interesse der Betroffenen. Diese Ablehnung hat bei mir dazu geführt, dass ich ein ganz anderes Talent entdeckt habe, nämlich das Fotografieren – und das habe ich zu meinem Beruf gemacht. Für mich rückblickend die weitaus bessere Entscheidung! Insofern: no hard feelings.

    • Hallo Kira, ja, die Antwort von Herrn Neumann finde ich auch 50 Jahre später noch großartig. Für mich ist sie ein Paradebeispiel dafür, wie man miteinander umgehen sollte. Aber meinem Professor (der im übrigen mein Lieblingsprof war und auch danach geblieben ist) nehme ich ebenfalls nichts übel. Er hatte Recht mit seiner Einschätzung – für eine Berufsmalerin war ich nicht aus dem richtigen Holz geschnitzt. Stattdessen bin ich Berufsfotografin geworden und sehr glücklich damit. Das Kind in mir ist mir dabei nie abhanden gekommen!
      Viele Grüße!

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