Rüggeberg räumt auf

VON THORDIS RÜGGEBERG

Gelegentlich bekomme ich das, was in meiner Bergischen Heimat „ein Rappel“ genannt wird. Damit meine ich einen Anfall aus einer Mischung von „genervt von einem Zustand“ und „endlich genug Energie, um etwas dagegen zu tun“. Wenn ich einen solchen Rappel bekomme, dann koche ich schnell noch mal eben eine Suppe aus den ollen Kartoffeln, die schon gefährlich zu keimen beginnen, putze endlich die einzigen Lederschuhe, die ich besitze und die schon seit Monaten anklagend in der Diele stehen, schreibe Tante Bärbel einen Dankeschön-Brief für die Wollsocken, die sie mir vor einem halben Jahr geschickt hat – oder räume das Arbeitszimmer auf. Alles völlig ungeachtet der Uhrzeit.

Wenn ich von Aufräumen spreche, dann meine ich immer mein Arbeitszimmer, das ist der einzige Raum in der Wohnung, in dem es zur Sache geht, auch wenn das Finanzamt behauptet, das sei gar nicht mein Arbeitszimmer, sondern mein Wohnzimmer, weil meine Wohnung nur zwei Räume hat, nämlich ein Schlaf- und ein Wohnzimmer, und um ein Arbeitszimmer zu haben, braucht man mindestens drei Räume, sonst geht das gar nicht, wo sollen denn sonst das Sofa und der Fernseher hin? Selbst wenn man weder ein Sofa noch einen Fernseher besitzt, so wie ich, das heißt gar nichts, man wohnt ja trotzdem, also braucht man ein Wohnzimmer.

Außerdem ist ein Arbeitszimmer nur dann ein richtiges Arbeitszimmer, wenn es so aussieht wie auf der Behörde, tapeziert mit schleimgrüner Glasfaser, einem vergilbten Gummibaum auf der Fensterbank und nicht ein winziges bisschen geschmackvoll, jawohl, da ist nichts zu machen, so steht es anscheinend in den Finanzamtsgesetzen.

Aber ich wollte vom Aufräumen erzählen. Jedenfalls, in meinem Arbeitszimmer, da steht ein großer Schreibtisch, nur dass der nicht aus formaldehyd-verseuchtem Kunststoff ist wie der auf dem Finanzamt, sondern aus Massivholz und vom Flohmarkt, und auf dem türmt es sich, egal, was ich mache. Genauer: wann immer ich aufräume, sieht´s hinterher schlimmer aus als vorher, das kommt folgendermaßen. Gestern zum Beispiel habe ich direkt zu Beginn meines Rappels einen dicken Stapel alter Zeitschriften hinter dem Schrank entdeckt. Pech auch, dass ich immer extrem gründlich bin und auch in die hinterletzten Ritzen schaue, jedenfalls stand ich da plötzlich mit -zig Kilos hochkarätiger Magazine. Die konnte ich ja jetzt nicht einfach so ins Altpapier werfen, denn wenn die fürs Altpapier bestimmt gewesen wären, dann wären sie längst dorthin gewandert, ich bin nämlich eine gute Wegwerferin, das glaubt nur keiner.

Diese Hefte lagen dort, weil sie randvoll sind mit tollen Fotos, originellen Illustrationen, 1A-Rezepten und sensationellen Wohneinrichtungsideen, also habe ich mich hingesetzt und diesen Zeitschriftenstapel durchforstet, ungefähr drei Stunden lang. Natürlich musste ich alles, was mir gefiel, ausreißen. Dann war es Mitternacht, der Stapel war abgearbeitet, und ich hatte Massen an Zeitschriften, die vorher niemand hinter dem Schrank gesehen hat, in den Recyclingcontainer gegenüber befördert, noch eben schnell in Pantoffeln.

Dafür türmten sich auf meinem ohnehin überfüllten Flohmarktschreibtisch die ganzen Seiten, die ich herausgerissen hatte, und die sieht jeder, aber jetzt war es schon spät und ich musste ins Bett und morgen würde ich nicht dazu kommen, mich damit zu beschäftigen und übermorgen und überübermorgen auch nicht. So geht das jedes Mal.

Nun denken alle, die einen Blick in mein Arbeitszimmer werfen, „meine Güte, es wird immer schlimmer mit ihr, vielleicht braucht sie professionelle Unterstützung, das ist doch nicht normal, dieses ganze Angesammel.“ Dabei werfe ich eigentlich die ganze Zeit irgend etwas weg. Also, wenn ihr das nächste Mal einen vollgetürmten Schreibtisch seht – keine voreiligen Schlüsse ziehen. Es kann nämlich sein, dass eine Person, bei der der Schreibtisch immer überquillt, ein total ordentlicher Mensch ist, wirklich, sowas gibt es auch.

ZUR AUTORIN:

Unsere Kolumnistin Thordis Rüggeberg arbeitet als freiberufliche Fotografin für Magazine und Unternehmen. Außerdem ist sie eine begnadete Bastlerin und Texterin.

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6 Kommentare
  1. Oh ich bin ordentlich! Das erste Mal, dass mir das gesagt wird! Danke!
    Ich habe zu viele Interessen. Diese interessanten Dinge die mich umgeben, wären ja nicht erfunden worden!
    Nun werde ich mal schauen, dass ich mein Arbeitszimmer wieder ausmisten kann. LG

  2. Da war jemand in meinem Wohnzimmer – ehrlich!

  3. Hallo Thordis ( ich duz Dich jetzt einfach mal ganz frech, nicht böse sein…), bin hier gerade über diese Kolumne gestolpert bzw. über Deinen Namen und hab mich gefragt, woher ich dich kenne… hast Du mal in Wuppertal Sonnborn einen Semesterferienjob bei einer Briefumschlag Fabrik (Reinhard Schmidt GmbH) gemacht??

    • Irre! Hallo Susanne! Ja, das war ich! Und ich erinnere mich gut an dich. Wenn du magst, findest du meine Kontaktdaten über Google – schreib mir doch, Mail, Facebook, Instagram… Ich schreibe zurück! Liebe Grüße.

  4. Waren Sie vielleicht irrtümlich in meinem Arbeitszimmer?

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